Ein städtebaulicher Sündenfall welcher den Heimplatz für den Rest seiner Existenz verunstaltet. Er ist das Resultat einerseits unsorgfältiger Wettbewerbsvorbereitung, sowie von totaler Ignoranz städtebaulicher Zusammenhänge von Seiten der Fach- und Sachjurymitglieder :
Eine, in Beton gegossene und Sandstein verkleidete, irreversible Tatsache.
Im Gegensatz dazu, sind die politischen, moralischen, und rechtlichen Bedenken, sprich Polemiken gegenüber der E. G. Bührle Sammlung unbedeutend; – weil sich dieses Problem , sowohl, politisch, rechtlich, pekuniär, und nicht zuletzt, auch zeitlich und räumlich lösen oder relativieren lässt. Bereits hat die NZZ , am 24. Nov. 2021 im neuen Kunsthaus, zum hundertsten “NZZ Podium” begonnen die Bührle Frage indirekt und direkt zu relativieren…
Situation in Bezug zum Heimplatz
Beim Flanieren entlang der sogenannten Kulturmeile vom Bellevue die Rämistrasse hoch in Richtung Hochschulgebiet verschlägt einem beim Erreichen des Zeltwegs linker Hand die Wuchtigkeit des neuen Kunsthauses den Atem. Beim Blick über die Hottinger Strasse hinweg, fällt auf, dass die keilförmig ansteigende Seitenfassade keinerlei Bezug zur Heimplatz-Fassade aufweist, obwohl sie zum gleichen Volumen gehört. Genau betrachtet, wurde der Kunsthaus-Quader wie ein Kinderbauklötzchen einfach horizontal in die schiefe Topographie-Ebene hineingedrückt.
Aus der Fussgängerperspektive bewirkt diese Volumensetzung eine optische Täuschung der Fassadenlängen. Die Seitenfassade zur Rämistrasse wirkt im Verhältnis zur Hauptfassade am Heimplatz kürzer, obwohl der Grundriss quadratisch ist – eine weitere Irritation, die den Platz beeinträchtigt.
Städtebaulich zählt vor allem die Form und die Setzung des Volumens im räumlichen Kontext aus der Fussgängerperspektive, die Materialisierung ist an diesem Ort lediglich ein “Appliqué”
Als beispielhafter Gegensatz dazu sei die Alte Kantonsschule etwas weiter bergwärts genannt. Obwohl ebenfalls ein Quader, wirkt der Bau harmonisch, weil er auf einer Zikkurat-ähnlichen Plattform mit genügend Freiraum zur Umgebung ruht und so in den urbanen Kontext integriert ist.
Der Kunsthaus-Quader hingegen ist dicht an den Strassenrand gesetzt, was in der horizontalen Ebene zwar einen Bezug zu den Nachbargebäuden herstellt, diesen aber in der Vertikale durch die zu grosse Gebäudehöhe im Verhältnis zu den Nachbargebäuden an der Rämistrasse und zur Kantonsschulstrasse wieder zunichtemacht.
Auch mit dem bestehenden Kunsthaus ergibt sich kein räumlicher Dialog. Zum einen ist die disproportional flächige, erdgebundene Heimplatz-Front mit den schwarzen Rasterlöchern zu verschlossen. Zum anderen stösst der zu helle Sandstein das Auge wie eine Festungsmauer eher ab, statt es einladend auf sich zu ziehen. Die durchgehend vertikale Lisenen-Verkleidung unterstreicht noch die Wucht dieser Wand und ihre Erdverankerung, während die horizontalen Deckenvorsprung-Attrappen den Quader-Einschub in die schiefe Topographie hervorheben; dadurch steigern sie dessen autistische Schwerfälligkeit zusätzlich und legen die willkürliche Positionierung in den im Masterplan nicht durchdachten Wettbewerbsperimeter offen.
Kurzum, diesem Bau fehlt die wichtigste Eigenschaft für eine gelungene Integration in diesen spezifischen Zürcher Kontext: der menschliche Massstab. Ja, sogar ein Gefühl des Unbehagens strahlt dieses Bauwerk aus. Ganz im Widerspruch zum Zweck eines Hauses, dessen Exponate die sinnliche Wahrnehmung, sprich die Gefühle der Menschen ansprechen sollen.
Bild oben: Tagsüber sind die Lichtöffnungen von aussen schwarz, Nachts wenn niemand im Kunsthaus ist, müssten diese Räume belichtet werden, damit diese Lichtöffnungen von Aussen ihre Wirkung zeigen; -” nicht gerade nachhaltig” .
Warum fügt sich der Pfister-Bau des bestehenden Kunsthauses trotz seiner Grösse problemlos in seine Umgebung ein? Die Antwort: Weil sein rechteckiger Grundriss und die Transparenz des Sockelgeschosses ihm im Gegensatz zum schwerfälligen Viereck des Chipperfield-Baus eine einladende Dialogbereitschaft mit seiner Umgebung verleiht.
Ein gedanklicher Ausflug auf den Augsburger Rathausplatz mag dies veranschaulichen. Das selbst für heutige Zeiten sehr grosse Rathaus gliedert sich in Bezug auf die benachbarten, viel kleineren Gebäude bestens in das urbane Netz ein. Woran liegt es, dass der grosse Bau die räumliche Ästhetik des Platzes fixiert, ja sogar steigert? Es liegt daran, dass seine Proportionen stimmen und seine Fassade, obwohl ebenfalls flächig und erdgebunden, gastfreundlich ist und eine einladende Ausstrahlung hat.
Ebenso verhält es sich mit dem Center Pompidou in Paris, das sich trotz seiner Überdimension zum Quartier bestens in den Kontext integriert. Zudem wirkt die ortsfremde Hightech-Materialisierung sowohl anziehend als auch als willkommener Kontrapunkt zum Quartierflair. Gründe, dass dies gelingt, gibt es genau genommen zwei: die ebene Topographie und der strenge Blockrandraster, der sich durch das ganze Quartier zieht. Wird ein solches, städtebaulich sehr wirksame System eingehalten, bedeuten Ausnahmen eine willkommene Ergänzung.
Innerhalb eines konsequent durchgezogenes Systems in der Ebene, sind Massstabssprünge möglich.
Nun ist allerdings die städtebauliche Ausgangslage beim Heimplatz im Vergleich zum ebenen Pariser Blockrandraster viel komplizierter (Streubauweise) . Hier genügt es nicht, den verfügbaren Bauplatz ohne vorgängig tiefere Kontextüberlegungen funktionsgerecht von Baulinie zu Baulinie zu überbauen und dann den Mangel an Denk-Vorarbeit mit Hilfe teurer, kontextassimilierender Fassadenverkleidung, sprich Dekoration, kaschieren zu wollen.
Das Resultat dieser Vorgehensweise liegt nun vor: Der Chipperfield-Bau «verschwimmt» in situativer Unbestimmtheit. Er ist weder Solitär noch Teil des urbanen Kontexts, was irritiert und nichts anderes übriglässt, als ihn in die Kategorie Zwitter einzuordnen. Im städtebaulichen Kontext ist die Heimplatz-Fassade einerseits zu hoch und zu breit, andererseits aber wieder zu niedrig, um dem Raum Heimplatz einen optischen Anker zu bieten. Auch die beiden Strassen, die den Heimplatz queren, haben keinen Einfluss auf die dürftige Raumbildung des Platzes insgesamt.
Ein Versuch, die umgebenen Gebäude wenigstens bei Dunkelheit zusammenzuhalten, wenn es schon bei Tageslicht nicht funktioniert, ist die an eine Gottesanbeterin erinnernde links abgebildete Lichtinstallationssäule. Obschon auch bei diesem Objekt Zweifel aufkommen; – ob es nicht eleganter gewesen wäre, die Scheinwerfer direkt am bestehenden Elektrokandelaber anzubringen, anstatt den überladenen Heimplatz weiter zu strapazieren: Dazu kommt, dass diese «Skulptur» unsensibel gegenüber dem Ignaz Heim Denkmal auftritt, welches einer früheren Stilrichtung angehöhrt.
An dieser Stelle sei klargestellt, dass es hier nicht um ein weit verbreitetes Vorurteil über «Kistenbauten», geht sondern: Wie dieser Bau in den Umgebungskontext gesetzt ist. Ein Quader hat, ähnlich wie ein Obelisk, eine gleichmässige optische Ausstrahlung, die nach allen Seiten gleiche Abstände erfordert. Ein gutes Beispiel dazu, ist das Kunstmuseum Chur, dieser Bau «sitzt» ohne sich den Umgebungsbauten einzuschmeicheln.
Auch ein Quader aber in der Ebene, gleich der Alten Kantonschule in Zürich.
Situation in Bezug zum «Garten der Kunst»
Spaziert man nach dem Überqueren der Hottingerstrasse entlang der «Kulturmeile» bergwärts weiter, folgen auf der rechten Seite der Rämistrasse zunächst eine Apotheke und anschliessend eine Kunstgalerie als Hingucker. Dagegen erhebt sich als Nichthingucker auf der linken Strassenseite die geschlossene, keilförmige Wand des neuen Kunsthausbaus, an deren Ende die überbreiten Hecken die Terrainanpassungen kaschieren sollen. Einen schmalen Einblick in den eigentlichen «Garten der Kunst» gibt es zwischen dieser und einer zweiten Grosshecke an der Rämistrasse: ein Grund hinüberzugehen, um einen Blick auf die Skulpturen zu werfen.
Notwendige Terrainanpassungen müssen durch überbreite Hecken kaschiert werden
Ob sich dieser Ort im Schatten der Nordfassade zwischen allseitigen dichten Hecken zum Verweilort entwickeln wird, ist eher zu bezweifeln. Die Atmosphäre des kleinen geschlossenen Skulpturengartens neben dem Pfister-Bau wird er nicht erreichen, geschweige denn die des MOMA-Gartens vor der spannenden New Yorker Kulisse oder jene der Fondation Maeght in St. Paul de Vence mit ihrem mediterranen Flair.
Der «Restpark» zwischen dem «Garten der Kunst» und der Treppe der Alten Kantonschule erscheint überdimensioniert und dürfte höchstens als Veloparkplatz eine Funktion finden, ist er doch als Aufenthaltsort im Vergleich zur sonnenorientierten Treppe der Alten Kantonsschule ziemlich unattraktiv.
Reaktionen nach Bekanntgabe der Wettbewerbsresultate
Nicht unbegründet, hagelte es nach der Veröffentlichung der Wettbewerbsresultate von verschiedenen Seiten Kritik, und zwar fundierte:
Unter anderen:
- Von Roman Hollenstein am 16. Dezember 2008 in der NZZ: «Er ist eine Enttäuschung, der Wettbewerbsentscheid in Sachen Kunsthaus-Erweiterung. David Chipperfields siegreicher Palazzo, der mit seiner gravitätischen Erscheinung und seinem Volumen das städtische Gefüge am Heimplatz zu sprengen droht, vermag keine Begeisterungsstürme zu entfesseln.»
- Von Benedikt Loderer im Hochparterre 1-2/2009: »[…] Problematisch sind die Dimensionen des Chipperfield-Baus mit seiner durchgehenden Traufhöhe von 18 Metern, welche die anderen Bauten am Heimplatz erdrücken werden. […] die Passanten und Besucher werden vor einer den Platz abschliessenden Wand stehen.»
- Vom Heimatschutz am 4. Februar 2013: «Das Siegerprojekt von David Chipperfield vermag auch aus architektonischer und städtebaulicher Sicht weder zu begeistern noch zu überzeugen. […] Es ist zu gross, zu wenig gegliedert und erdrückt die Umgebung […].«
Wie konnte es soweit kommen?
Dieses Projekt ist einerseits das Ergebnis unsorgfältiger Wettbewerbsvorbereitung, denn es war bereits in den vorgängigen Machbarkeitsstudien voraussehbar, dass der ausgeschiedene Bau-Perimeter für das gewünschte Bauprogramm zu knapp ist.
Anderseits zeugt die Reaktion von Preisgericht und Politik auf die eingegangenen Kritiken von mangelnder Erkenntnisbereitschaft. Es darf an dieser Stelle klar gesagt werden, dass hier das Fachpreisgericht seine Verantwortung für das grösste Kulturgut eines Landes, nämlich seine Städte, nicht wahrgenommen hat! Es ist achtlos, in dieser sensiblen Zone, ohne mögliches nachträgliches Verbesserungspotential ein derart disproportionales, wuchtiges Gebilde hinzustellen, das den Ort für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte verbaut. Spätestens nach Erscheinen der öffentlichen Kritiken und sogar Einsprachen, hätte das Fachpreisgericht und die Politik sich einsichtig zeigen sollen und den Wettbewerbsperimeter anpassen damit die ersten Preisträger mit erweiterten Vorgaben nochmals über die Bücher hätten gehen können. Es geht hier um den Heimplatz und nicht um eine Gewerbezone! Dieser exklusive Standort hätte definitiv mehr geistigen Einsatz vor Baubeginn verdient,.
Reaktionen nach Abschluss des Baus
Nach Abschluss des Baus beschreiben ihn Zürcher Tageszeitungen und Fachzeitschriften mit folgenden gekürzten Worten:
- NZZ vom 03. 12. 2019: […] der grazile Klotz am Heimplatz, von feiner Profilierung der Oberfläche ist die Rede […]
- NZZ vom 12.12.2020: […] das Kunsthaus fasziniert dank seinen Zwischenräumen, im Innern wie im Stadtraum […]
- Tagesanzeiger vom 28. 02. 2020: […] ein filigranes Haus von geradezu klassischer Schönheit […]
- Tagesanzeiger vom 12.12.2020: […]Ein neues Tor zum Hochschulquartier[…]
- Limmattaler Zeitung vom 12.12.2020: […] von schlichter Eleganz von Stein und Messing […]
- Tec 21 vom 18.12.2020: Seite 29 […] Der Erweiterungsbau (Neubau) ist zwar das grösste Gebäude am Platz- ihr ruhiger Ausdruck nimmt den Neubau jedoch zurück [……] Dennoch ist zu bemerken, dass die Wucht des Baukörpers den gewünschten Dialog mit dem Aussenraum gerade im Vergleich zu den anderen Bauten rundum den Platz erschwert. […]
- Architektur und Technik vom 23. 11. 2020: […] Der streng rechtwinklige Entwurf wirkt wie eine grosse Schachtel, die in den Hang hineingeschoben ist. […]
- SWI swissinfo.ch 23.11.2020: […] monumental massig und doch anmutig […]
- Die Zeitschrift Archithese vom 11.12.2020 spricht das grosse Volumen an und der Projektverfasser sieht sich zur Rechtfertigung gezwungen: ein schlechtes Zeichen, denn gelungene Architektur bzw. gelungener Städtebau benötigt keine Apologie.
- Werk Bauen und Wohnen vom November 2020 im Editorial […] Ihr hermetischer Ausdruck ist im Grund das Gegenteil des Urbanen […]
- Hochparterre in seinem Blog vom 15.12.2020: […] Der Begriff «kompakter Baukörper», der in diesem Zusammenhang fällt, entbehrt mit Blick auf den riesigen Quader nicht einer gewissen Ironie. 12 Jahre hat das Gebäude gebraucht, um Realität zu werden, 13 Jahre werden es bei der Eröffnung sein. Natürlich würde man es heute anders entwerfen […]
Die Tageszeitungen werten den Neubau kontextlos- und materialbezogen. Diese isolierende Betrachtung lässt tief blicken und ist Zeichen nicht hundertprozentiger Überzeugung vom Resultat. Zwischen den Zeilen scheint der Hintergedanke auf: Es ist nun mal da, schreiben wir es schön, mit der Zeit gewöhnt sich Zürich daran.
Die Fachzeitschriften sind etwas mutiger, aber auch diese bleiben mehr oder weniger bei der simplen Beschreibung dessen, was sie auf den ersten Blick sehen, und dessen, was ihnen die Bauherrschaft mitgeteilt hat.
Rekapitulation
Die ursprünglichen Wettbewerbsziele gemäss Bericht des Preisgerichts
An dieser Stelle seien nochmals die im Bericht des Preisgerichts auf der Seite 8 aufgeführten Wettbewerbsziele der gleichen Reihenfolge nach genannt:
«Erwartet werden grundsätzlich
- Eine städtebaulich, architektonisch und aussenräumlich besonders qualitätsvolle und zeitgemässe Kunsthaus-Erweiterung sowie eine attraktive Neugestaltung der angrenzenden öffentlichen Räume, insbesondere des Gartens der Kunst.
- Ein optimales Museumlayout für Kunst und Publikum, das das vorgeschriebene Raumprogramm und die formulierten betrieblichen Abforderungen bestmöglich umsetzt sowie eine bezüglich Raumerlebnis und Lichtführung herausragende Museumsgestaltung.
- Ein wirtschaftlich vorbildliches Projekt, das niedrige Erstellungskosten sowie einen kostengünstigen Betrieb und Unterhalt erwarten lässt.
- Ein ökologisch nachhaltiges Projekt, das über den gesamten Lebenszyklus auf die Ziele der 2000-Watt Gesellschaft ausgerichtet ist. «
Bilanz
Die Liste macht das Problem deutlich: Das erste und oberste Ziel, nämlich guter Städtebau wurde nicht erreicht, was alle übrigen Ziele auf die Plätze ferner liefen verwies. Um das Zürcher Selbstbewusstsein nicht zu verletzen, musste sich die Presse nach Abschluss des Baus den ferner liefen Ziele widmen, die um Grunde lediglich dem heutigen Stand der Technik in Ländern mit hohem Standard entspricht. Diskrete Materialkombinationen rund um Sichtbeton sind längst Allgemeingut, sogar in Shopping Malls, sei es in Singapur, Dubai oder São Paulo.
Auch die öffentlich zugängliche, über alle Stockwerke reichende Verteilhalle, in altbekannter «Weniger ist mehr» – Materialisierung, verfehlt den beabsichtigten Überraschungseffekt beim Betreten des Gebäudes, den sie ist bereits draussen vom Heimplatz durch den Sandsteinraster vollständig lesbar ist. Dem Heimplatz selbst bringt sie allerdings auch keinen Mehrwert. Schade für den Heimplatz schade für die Stadt Zürich, schade für die Kulturmeile. An diesem Ort wurde eine riesige Chance verpasst.
Die Verantwortlichen :
Die Lektion daraus: «Qualitätsvoller Städtebau» erträgt nun mal keine Kompromisse !