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Die Geldschöpfung und die Illusion des stetigen Wachstums

quantitative easing der SNB

Den Grundsatz, Geldschöpfung sei zuerst realwirtschaftlich zu erarbeiten, hat die Finanzwirtschaft längst ausgehebelt. Es wird Zeit, sich diese Tatsache bewusst zu machen und über die Entkoppelung der Geldschöpfung vom BIP-Wachstum nachzudenken.

Unser Wirtschaftsmodell ist, im Klartext, zum Schneeballsystem verkommen. Zwar ist diese Erkenntnis angesichts der weltweit exponentiellen Bevölkerungszunahme, des damit einhergehenden Wachstumszwangs und der sich dadurch beschleunigenden Klimaveränderung erst einer Minderheit bewusst, nicht aber der grossen Mehrheit.  Dafür sorgen nicht zuletzt die Medien mit ihren fast täglichen Klagen, wenn die BIP- Wachstumsraten auch nur leicht ins Stocken geraten. Tunlichst vermeidet die Politik das Wort Schneeballsystem, um ihre diesbezügliche Ohnmacht zu verbergen, und thematisiert lediglich die Auswirkungen, namentlich die Klimaveränderung, ohne deren Ursache zu erwähnen, den Wachstumszwang. Im Laufe der Globalisierung haben sich die Länderökonomien dermaßen vernetzt, dass Störungen in einer Region sich auf die ganze Welt auswirken, was zu Arbeitslosigkeit, Armut und gar gewaltsamen Konflikten führen kann. Die Erwartungen der Anleger und Rentenfonds haben die «freie Marktwirtschaft» zur «Zwangswirtschaft» verkommen lassen und die Menschen zu Getriebenen gemacht. Das für den Systemerhalt nötige Wachstum steht im Widerspruch zur Endlichkeit der Ressourcen. Kaum jemand hat den Mut, diese Problematik öffentlich auszusprechen. Die Sozialpolitiker beschwichtigen mit der Prognose, die Bevölkerungszahlen würden sich mit der ökonomischen Entwicklung automatisch zurückbilden, was jedoch den Punkt nicht trifft: Auch in hochentwickelten Ländern wächst die Bevölkerung und die Dichte wird in manchen Zentren bereits als bedrohlich empfunden.

Dass all diese Erdenbürger im Zuge der vierten Industrierevolution bis zur Pension am realwirtschaftlichen Geldschöpfungsprozess teilhaben werden, ist höchst unwahrscheinlich. Denn dieser wird sich von der Skalierung des Gleichartigen weg und hin zu Qualitäts-Upgrade und Unterhalt verlagern und langsamer verlaufen als die bestehende Wachstumsökonomie. Auch die Finanzindustrie wird davon betroffen sein, baut sie doch direkt auf der Realwirtschaft auf. Das bedeutet, dass auch die Anlagemöglichkeiten und die darauf basierenden Spekulationsgeschäfte schrumpfen werden. Wovon werden all jene leben, die schon heute mit fünfzig meist unfreiwillig aus dem Arbeitsprozess ausscheiden? Was geschieht mit ihnen, zumal wir immer älter werden? Und die bestehenden Rentenmodelle schon jetzt unübersehbar am Kollabieren sind? Dabei wird sich die Lage noch weiter verschärfen, weil eine auf Innovation gründende, mehr Entwicklungszeit benötigende und somit kleinere Ersatzwirtschaft die hart erarbeiten Vorsorgegelder noch weniger als heute gewinnbringend aufnehmen kann.

Demgegenüber drängen sich Fragen auf: Wie ist es möglich, dass das Finanzvolumen die realwirtschaftliche Wertschöpfung um ein Mehrfaches übersteigt, dass aus Krisen gar Profit gezogen wird und die Notenbanken für Banken- und Deviseninterventionen Fiatgeld in Milliardenhöhen emittieren können, um das System zu stützen? Und dass derweil den Menschen eingeschärft wird, sich zu mehren, flexibel zu sein, sich laufend weiterzubilden, länger zu arbeiten und zu konsumieren, denn das Geld müsse zuerst «erarbeitet werden»? Und dass indessen eine Insider-Minorität ohne pekuniäre Einbussen von einem Börsenhype zum anderen surft?  

Statt Fiatgeld wie bis anhin für volkswirtschaftlich schädliche Spekulationen zu emittieren und Blasen durch die «unsichtbare Hand» platzen zu lassen, würde es sich – solange das Problem der übermäßigen Bevölkerungszunahme noch virulent ist – eher empfehlen, Fiatgeld für nützliche Zwecke auszugeben, genauer gesagt, Pensionierte direkt damit zu versorgen, und potentielle Negativanreize durch Regeln zu unterbinden. Damit wäre die Demografiedebatte ebenso vom Tisch wie die den wirtschaftlichen Output verteuernden progressiven Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge in die kollabierenden Sozialwerke. Auch das Inflationsproblem liesse sich durch die Kontrolle der im Umlauf stehenden «Fiatpensionsgelder» in den Griff bekommen: durch Emission in Funktion der lebenden und durch Immission (Zurückführung) in Funktion der Verstorbenen. Nicht zu vergessen, dass dieses schuldenfreie Fiatgeld die Wirtschaft am Laufen hielte, weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch das Wegfallen von obligatorischen Sozialabgaben liquider und konkurrenzfähiger würden.

Ganz im Sinne des klassischen Liberalismus ist es an der Zeit, die herrschenden Wirtschaftsdogmen, deren Sprachregelungen und die Geldtheorien von Grund auf neu zu denken. Denn Geld ist kein «Ding an sich», sondern für die Menschen da – und nicht umgekehrt, wie der manipulierte Zeitgeist uns laufend einbläut.

Heinrich O. Matthias